Newsletter 03/2022

Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,

die Pandemie hat in vielerlei gesellschaftlichen Gebieten ihre Auswirkungen.

Häufig waren Gewerbevermieter von Mietkürzungen ihrer Mieter betroffen, die das Geld nicht mehr aufbringen konnten. In unserem Fall spielt aber eine Heimbewohnerin die Hauptrolle. Mit großer Hartnäckigkeit versuchte sie ihr Ziel zu erreichen, scheiterte aber letzten Endes vor dem höchsten deutschen Zivilgericht. Manche Dinge wie etwa „Heimplatz gegen Geld“ sind eben nicht verrückbar.

Veränderungen für uns alle wird aber das kommende Jahr mit sich bringen, wenn das Betreuungsrechtsänderungsgesetz in Kraft tritt. Informieren Sie sich schon jetzt in unserem Newsletter.

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Überschär

Aktuelle Rechtsprechung

Das Heimentgelt dürfen Sie bei coronabedingten Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen nicht kürzen

Der Bundesgerichtshof musste über die Frage entscheiden, ob Bewohner:innen einer stationären Pflegeeinrichtung wegen Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angeordnet wurden, zu einer Kürzung des Heimentgelts berechtigt sind. Lesen Sie, wie das höchste deutsche Zivilgericht entschieden hat.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.04.2022, Az. III ZR 240/21, Pressemitteilung vom 01.06.2022

Das ist passiert:

Eine Frau schloss im Jahr 2017 einen Vertrag sowohl über die Unterbringung als auch über die vollstationäre Pflege in einem Seniorenwohn- und Pflegeheim. Seit März 2020 hielt sie sich dann aber nicht in der Pflegeeinrichtung auf, denn aufgrund der grassierenden Pandemie holte ihr Sohn sie zu sich nach Hause.

Das ihr in dem Pflegeheim zugewiesene Zimmer räumte sie aber nicht. Für die Monate Mai bis August 2020 erbrachte sie auf das sich inzwischen auf 3.294,49 € belaufende beziehungsweise im August 2020 auf 3.344,07 € angestiegene Monatsentgelt lediglich Zahlungen in Höhe von insgesamt 1.162,18 €.

Nachdem die Heimbetreiberin die Frau vergeblich unter Fristsetzung zur Zahlung aufgefordert hatte, erklärte sie mit Schreiben vom 20.07.2020 die Kündigung des Pflegevertrags aus wichtigem Grund zum 31.08.2020.

Die Parteien trafen sich vor dem Landgericht wieder. Die Heimbetreiberin wollte, dass die Frau ihr Zimmer räumt und die rückständigen Heimkosten bezahlt. Das Landgericht hat die Frau zur Räumung und Herausgabe des von ihr weiterhin belegten Zimmers sowie – unter Anrechnung der vertraglich vereinbarten Pauschale von 25 Prozent für ersparte Aufwendungen ab dem vierten Abwesenheitstag – zur Zahlung von 8.877,13 € nebst Zinsen verurteilt. Gegen diese Entscheidung legte die Frau Berufung ein, die jedoch keinen Erfolg hatte. Zudem hat das Berufungsgericht eine Revision gegen seine Entscheidung nicht zugelassen.

Auch die Entscheidung des Berufungsgerichts wollte die ehemalige Heimbewohnerin nicht akzeptieren und wollte eine sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde erheben. Dafür war es aber notwendig, einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Sie begehrte dafür die Bestellung eines Notanwalts, da auf ihre Anfrage keiner der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte zu einer Vertretung bereit gewesen ist.

Darum geht es:

Trotz der verzwickten prozessualen Vorgeschichte geht es im Kern darum, ob die Bewohnerin zur eigenmächtigen Kürzung des Heimentgelts aufgrund der Pandemie berechtigt war.

Die Entscheidung:

Der Bundesgerichtshof hat den Antrag der Beklagten, ihr einen Notanwalt beizuordnen, abgelehnt.

Die Beiordnung eines Notanwalts für die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde scheidet aus, weil zum einen die Sache nicht grundsätzlich bedeutsam ist und zum anderen der von der Beklagten geltend gemachte Entgeltkürzungsanspruch unzweifelhaft nicht besteht.

Nach § 7 Abs. 2 des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG) in Verbindung mit Nr. 2.1 des Pflegevertrages war die Heimbetreiberin verpflichtet, der Bewohnerin ein bestimmtes Zimmer als Wohnraum zu überlassen sowie die vertraglich vereinbarten Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem allgemein anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse zu erbringen. Diese den Schwerpunkt des Pflegevertrags bildenden Kernleistungen konnten trotz pandemiebedingt hoheitlich angeordneter Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen weiterhin in vollem Umfang erbracht werden. Eine Entgeltkürzung gemäß § 10 Abs. 1 WBVG wegen Nicht- oder Schlechtleistung scheidet daher von vornherein aus.

Durch die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen hat sich die Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien bestehenden Pflegevertrag nicht schwerwiegend geändert. Die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen dienten primär dem Gesundheitsschutz sowohl der (besonders vulnerablen) Heimbewohner als auch der Heimmitarbeiter, ohne den Vertragszweck in Frage zu stellen. Deshalb kommt auch keine Herabsetzung des Heimentgelts wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch in Betracht.

Ein Festhalten am unveränderten Vertrag war der Heimbewohnerin zumutbar, zumal die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angeordneten Einschränkungen sozialer Kontakte („Lockdown“) das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben, also auch Nichtheimbewohner, erfasste.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Sollte uns noch mal ein Winter mit großen Einschränkungen bevorstehen, ist das ein sehr wichtiges Urteil. Heimentgelte können nicht ohne Weiteres eigenmächtig gekürzt werden.

Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.04.2022, Az. III ZR 240/21, Pressemitteilung vom 01.06.2022

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Veranstaltungen

Vortrag: Sozialhilfeleistungen für hilfebedürftige (betreute) Menschen

Referent: Dirk Köbrich, Abteilungsleiter Allgemeine Sozialhilfe der Kreisverwaltung Birkenfeld
Termin: Mittwoch, 05.10.2022, 18:00 bis 20:00 Uhr
Ort: Sitzungssaal der Kreisverwaltung Birkenfeld, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld

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Vortrag: Umgang mit depressiven Störungen und Erkrankungen

Referent: Dr. Bernd P. Laufs, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ehemaliger ärztlicher Direktor des Klinikums Idar-Oberstein
Termin: Mittwoch, 09.11.2022, 18:00 bis 20:00 Uhr
Ort: Sitzungssaal der Kreisverwaltung Birkenfeld, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld
Referent:in: N. N.

Um eine bessere Planung zu gewährleisten, bitten wir um Ihre Anmeldung zu den Veranstaltungen per E-Mail an betreuungsverein@awo-birkenfeld.de.

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Gesetzgebung

Kabinett beschließt Regelungen zur Triage

Das Kabinett hat im August den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, mit dem die Triage in einer besonderen Ausnahmesituation geregelt werden soll. Gibt es, aufgrund einer übertragbaren Krankheit, keine ausreichenden intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten, ist die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit das maßgebliche Kriterium für die Zuteilungsentscheidung. Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16.12.2021 (Az. 1 BvR 1541/20) zu Benachteiligungsrisiken insbesondere von Menschen mit Behinderungen in der Triage. Mit dem Gesetz werden für die Zuteilungsentscheidung maßgebliche Kriterien und Verfahrensvorschriften geregelt.

Der Gesetzentwurf sieht insbesondere folgende Regelungen vor:

Hintergrund: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.12.2021

In seinem Beschluss vom 16.12.2021 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Staat in bestimmten Konstellationen ausgeprägter Schutzbedürftigkeit eine Pflicht hat, Menschen wirksam vor einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung auch durch Dritte zu schützen. Eine solche Situation ausgeprägter Schutzbedürftigkeit sah das Bundesverfassungsgericht in dem Risiko der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen und gab dem Gesetzgeber daher auf, Schutzvorkehrungen für diesen Fall zu treffen. 

Quelle: Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 24.08.2022

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Betreuerregistrierungsverordnung am 22.07.2022 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht

Damit kann die Betreuerregistrierungsverordnung ab 2023 in Kraft treten. Als Berufsbetreuer:in darf künftig nur noch tätig sein, wer erfolgreich ein Registrierungsverfahren durchlaufen hat.

Mit der Einführung eines bundesweit gültigen formalen Zugangs- und Registrierungsverfahrens müssen beruflich tätige rechtliche Betreuer:innen ab dem 01.01.2023 unter anderem Fachkenntnisse nachweisen, um ihre Tätigkeit auszuführen. Die Grundlagen sind im Betreuungs-rechtsorganisationsgesetz (§§ 23 bis 28, 32, 33 BtOG) geregelt. Die Betreuerregistrierungsverordnung legt die Einzelheiten zum Registrierungsverfahren für berufliche Betreuer:innen fest, insbesondere zu den Anforderungen an die Sachkunde, die Art des Sachkundenachweises, die Anerkennung und Zertifizierung der Anbieter von Sachkundelehrgängen sowie die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen.

Unter diesem Link können Sie die Bundesregistrierungsverordnung downloaden:
https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl122s1154.pdf%27%5D__1662129799641

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Hätten Sie es gewusst?

Haben Betroffene das Recht, den/die Betreuer:in vor der Bestellung kennenzulernen?

Nein, nach derzeitiger Rechtslage besteht darauf kein Anspruch.

Aber das ändert sich ab dem 01.01.2023 mit der Einführung des Betreuungsrechtsorganisationsgesetzes (BtOG). Um das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu stärken, ist im Rahmen des § 12 Abs. 2 BtOG erstmals die Möglichkeit eines persönlichen Kennenlerngesprächs zwischen dem Betroffenen und dem/der Betreuer:in vorgesehen. Dieses Kennenlerngespräch findet auf Wunsch des Betroffenen und durch Vermittlung der Betreuungsbehörde statt. Der derzeitige Gesetzestext sieht jedoch nur eine „Kann“-Vorschrift vor. Wortwörtlich lautet § 12 Abs. 2 BtOG:

Auf Wunsch des Betroffenen kann die Behörde ein persönliches Kennenlernen zwischen dem Betroffenen und dem vorgesehenen Betreuer vermitteln.

Doch auch derzeit nimmt der Gesetzgeber Rücksicht auf die Wünsche des Betroffenen. In § 1897 Abs. 4 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch ist festgelegt, dass die Person zum Betreuer zu bestellen ist, die der Betroffene wünscht, sofern es seinem Wohl nicht zuwiderläuft. Seinen Wunsch muss der Betroffene irgendwie kundtun beziehungsweise erkennen lassen.

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Über Lob freuen wir uns, Kritik nehmen wir ernst!

AWO-Betreuungsverein für den Kreis Birkenfeld e.V.

Hauptstraße 531–533

55743 Idar-Oberstein
betreuungsverein@awo-birkenfeld.de