Newsletter 04/2022

Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,

„alles auf Anfang oder „neues Jahr, neues Glück – unzählige Sprüche gibt es um den Jahresbeginn herum. Ein neues Jahr hat immer auch einen Zauber, dem zumindest ich mich nicht ganz entziehen kann. Warum auch? Es macht viel Spaß, neue Pläne zu schmieden, sich neue Vorhaben zu überlegen. Überhaupt ein bisschen in mich zu gehen und darüber nachzudenken, was ich in seinem beruflichen und persönlichen Umfeld verbessern möchte.

So geht es anscheinend auch dem Gesetzgeber, der zum neuen Jahr unter anderem beschlossen hat, dass das Betreuungsrechtsorganisationsgesetz ab Januar 2023 gelten wird. Das wird Ihr Ehrenamt, aber auch unsere Arbeit sehr beeinflussen. Lesen Sie mal unter der Rubrik Gesetzgebung nach.

Ich wünsche Ihnen ein gemütliches Weihnachtsfest, umgeben von den Menschen, die Ihnen am Herzen liegen. Fröhliches Pläneschmieden und Vorfreude auf alles Kommende sollen Ihren Jahresbeginn begleiten.

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Überschär

Aktuelle Rechtsprechung

Niemand darf ohne individuelle Abwägung dauerhaft geschützt untergebracht werden

Soll eine betreute Person geschützt untergebracht werden, muss eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben dieses Menschen bestehen. Das bedeutet, dass objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens vorliegen müssen. Der Grad der Gefahr für den betroffenen Menschen ist in Beziehung zu dem möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu setzen, entschied der Bundesgerichtshof.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2022, Az. XII ZB 81/22

Das ist passiert:

Die 1933 geborene Betroffene leidet schon seit Jahrzehnten unter einer bipolaren Störung. Mittlerweile hat sich der Krankheitszustand durch eine hinzugekommene Demenz verschlimmert. Die Erkrankungen verursachen deutliche Störungen der Emotionen und des Verhaltens. Der Sachverständige führte im Gerichtsverfahren aus, dass sich das Krankheitsbild durch eine wahnhafte Realitätsverkennung auszeichnet. Daraus resultiert eine massive Neigung sowohl zu eigen- als auch fremdgefährdendem Verhalten, das sich in tätlich aggressiven Impulsdurchbrüchen, schweren formalen und inhaltlichen Denkstörungen sowie kognitiven Störungen und auch Gedächtnisstörungen äußert.

Für die Betroffene besteht eine Betreuung, deren Aufgabenkreis unter anderem die Aufenthaltsbestimmung, die Gesundheitssorge und Heimplatzangelegenheiten umfasst.

Mit Beschluss vom 15.12.2021 hat das Amtsgericht auf Antrag des Betreuers die Unterbringung der Betroffenen bis längstens zum 15.12.2023 genehmigt. Dagegen wehrte sich die Betroffene mit einer Beschwerde, die vom Landgericht jedoch zurückgewiesen wurde. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit einer Rechtsbeschwerde.

Darum geht es:

Eine freiheitsentziehende Maßnahme muss nach § 1906 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch vom Betreuungsgericht genehmigt werden. Dazu müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen. In diesem Fall muss § 1906 Abs. 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch erfüllt sein, der besagt, dass eine freiheitsentziehende Maßnahme zum Wohl des Betreuten gestattet ist, wenn aufgrund einer psychischen Krankheit und geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Es geht also darum, ob das Landgericht diese entscheidende Norm richtig interpretiert und angewendet hat.

Die Entscheidung:

Der Bundesgerichtshof sah die Voraussetzungen für eine dauerhafte Unterbringung nicht als gegeben an und hat die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben sowie die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Ausschlaggebend war für den Bundesgerichtshof, dass das Landgericht den Gefahrenbegriff des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB verkannt hat. Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist. Das bedeutet, dass aufgrund einer psychischen Krankheit und einer geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist es hierfür notwendig, dass eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten besteht. Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen. Die Gefahr für Leib oder Leben erfordert kein zielgerichtetes Verhalten, aber objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens.

Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist Sache des Tatrichters. Sie baut im Wesentlichen auf der Anhörung des Betroffenen und der weiteren Beteiligten sowie auf dem einzuholenden Sachverständigengutachten auf. Die Begründung darf sich auch bei wiederholt untergebrachten Betroffenen nicht auf formelhafte Wendungen beschränken, sondern muss die Tatbestandsvoraussetzungen im jeweiligen Einzelfall durch die Angabe von Tatsachen konkret nachvollziehbar machen.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hat das Landgericht keine konkreten Anhaltspunkte für die Gefahr des Eintritts eines erheblichen Gesundheitsschadens festgestellt. Die Begründung beschränkt sich auf formelhafte Wendungen. Auch in dem in Bezug genommenen Sachverständigengutachten fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für eine Gefahrenlage. Das Gericht hat es verabsäumt, die krankheitsbedingten Einschränkungen auf eine konkrete Gefahrenlage für die Betroffene zu übertragen. Ferner fehlt es auch an der erforderlichen Relation zum möglichen Schaden für die Betroffene.

Auf eine Fremdgefährdung kommt es im Tatbestand des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch nicht an.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Diese Entscheidung bietet gute Argumentationshilfen für die Betreuerin oder den Betreuer. Bei einer freiheitsentziehenden Maßnahme ist stets der individuelle Fall zu betrachten. Routinemäßiges Fixieren, um Stürzen von nachts aufstehenden Patientinnen und Patienten zu verhindern, ist nicht angezeigt, wenn eine mildere Maßnahme möglich ist. In Betracht kommt etwa ein niedrigeres Bett, aus dem gefährliche Stürze nicht möglich sind.

Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2022, Az. XII ZB 81/22

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Gesetzgebung

Triage-Gesetz: Gesetzgebungsverfahren fortgeschritten

Schon im Newsletter 3/2022 haben wir über das Gesetz berichtet. Jetzt hat auch der Deutsche Bundestag im November dem Gesetz zugestimmt.

Der Begriff „Triage“ bedeutet, dass Ärztinnen und Ärzte etwa bei zu wenigen Beatmungsgeräten eine Reihenfolge festlegen, wer zuerst behandelt wird. Diese Rangfolge soll nach der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeitʺ einer Patientin oder eines Patienten festgelegt werden. Andere Kriterien wie das Alter oder eine Behinderung sollen nicht angewendet werden.

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§ 10 BtOG: Warum dieser neue Paragraf für viele ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer sowie für Betreuungsvereine so wichtig ist

Am 1.1.2023 tritt das Betreuungsrechtsorganisationsgesetz (BtOG) vollständig in Kraft. Das bringt auch für ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer einige Änderungen mit sich.

Sinngemäß besagt diese Norm, dass die Behörde Namen und Anschrift der ehrenamtlich betreuenden Person, von deren Bestellung sie durch die Bekanntgabe des Betreuungsgerichts nach § 288 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Kenntnis erlangt hat, unverzüglich einem am Wohnsitz der ehrenamtlichen Betreuerin oder des Betreuers anerkannten Betreuungsverein mitteilt. Dem Verein soll so eine Kontaktaufnahme ermöglicht werden. Dies gilt nicht für ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer, die keine familiäre Beziehung oder persönliche Bindung zu dem oder der Betroffenen haben.

Im bisher geltenden Betreuungsbehördengesetz gab es zu diesem Paragrafen keine Entsprechung. Wenn Sie also als ehrenamtliche Betreuerin oder Betreuer bestellt werden und familiäre oder sonstige persönliche Bindungen zu der oder dem Betroffenen haben, sieht diese Vorschrift also eine Weitergabe von Namen und Anschrift ohne Ihre ausdrückliche Einwilligung durch die Betreuungsbehörde an einen örtlichen Betreuungsverein vor.

Dabei muss die Betreuungsbehörde gegenüber Ihnen die Informationspflichten nach Art. 13, 14 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) erfüllen. Das bedeutet, dass Sie über die Datenweitergabe informiert werden. Der jeweilige Betreuungsverein muss Ihnen gegenüber die Informationspflichten nach Art. 14 DS-GVO erfüllen, das heißt, dass er Sie über die empfangenen Daten sowie deren weitere Verarbeitung und eventuelle Speicherung informieren muss.

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Hätten Sie es gewusst?

Wer kann Beschwerde gegen eine Entscheidung des Betreuungsgerichts einlegen?

Gemäß § 59 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Das sind in erster Linie der oder die Betreute und die Verfahrenspflegerin oder der Verfahrenspfleger. Aber auch die betreuende Person kann im eigenen Namen oder im Namen der betreuten Person Beschwerde einlegen.

Gem. § 59 Abs. 2 FamFG steht die Beschwerde nur dem Antragsteller zu, wenn ein Beschluss nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist.