Newsletter 01/2023

Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,

nun ist das neue Jahr schon drei Monate alt und Sie haben sicher schon Gelegenheit gehabt, sich mit dem neuen Betreuungsrecht zu befassen. Erfahrungsgemäß tauchen viele Fragen erst im praktischen Alltag auf. Wie müssen Sie jetzt die betreuten Personen konkret beteiligen?

Papier ist bekannt für seine Geduld und erst in der Praxis werden die vielen Änderungen wirklich zum Tragen kommen. Je besser informiert Sie sind, desto leichter werden Sie es haben. Werfen Sie deshalb einen Blick in die empfohlenen Broschüren, abonnieren Sie unseren Newsletter und scheuen Sie sich vor allem nicht, unser Team direkt anzusprechen. Wir unterstützen Sie gern!

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Überschär

Aktuelle Rechtsprechung

Bundessozialgericht erleichtert Zugang zu Behindertenparkplätzen

Der Neunte Senat des Bundessozialgerichts hat am 09.03.2023 entschieden, unter welchen Umständen das Merkzeichen „aG“, das für die Nutzung von Behindertenparkplätzen maßgeblich ist, zuerkannt werden muss. Demnach ist entscheidend, ob Betroffene auf normalen öffentlichen Wegen auch in fremder Umgebung keine weiteren Strecken mehr gehen können. Kann sich der schwerbehinderte Mensch dort dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen, steht ihm das Merkzeichen „aG“ zu (wenn auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind). Eine bessere Gehfähigkeit in anderen Lebenslagen, etwa unter idealen räumlichen Bedingungen oder allein in vertrauter Umgebung und Situation, ist für dessen Zuerkennung grundsätzlich ohne Bedeutung.

Bundessozialgericht, Beschlüsse vom 09.03.2023, Az. B 9 SB 1/22 R und B 9 SB 8/21 R

Das ist passiert:

Die Kläger der beiden Verfahren beantragten aus unterschiedlichen Gründen das Merkzeichen „aG“, das unter anderem zur Nutzung der Behindertenparkplätze berechtigt. Der Kläger des ersten Verfahrens (Az. B 9 SB 1/22 R) leidet unter anderem an einer fortschreitenden Muskelschwunderkrankung mit Verlust von Gang- und Standstabilität. Zwar ist ihm das Gehen auf einem Krankenhausflur möglich. Eine freie Gehfähigkeit ohne Selbstverletzungsgefahr im öffentlichen Verkehrsraum mit Bordsteinkanten, abfallenden oder ansteigenden Wegen und Bodenunebenheiten besteht aber nicht mehr. Der Kläger aus dem zweiten Verfahren (Az. B 9 SB 8/21 R) kann infolge einer Entwicklungsstörung nur in vertrauten Situationen im schulischen oder häuslichen Bereich frei gehen, nicht jedoch in unbekannter Umgebung.

In beiden Fällen lehnten die Behörden und das Landessozialgericht die Erteilung des Merkzeichens „aG“ ab. Dagegen wehrten sich beide Betroffenen.

Darum geht es:

Das Bundessozialgericht musste entscheiden, wann unter welchen Umständen eine Gehbehinderung anzunehmen ist, die es rechtfertigt, das Merkzeichen „aG“ zu erteilen.

Die Entscheidung:

Das Bundessozialgericht hat im ersten Fall die erste Voraussetzung für das Merkzeichen „aG“, eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, als erfüllt angesehen. Es muss jedoch auch die zweite Voraussetzung, wonach die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 entsprechen muss, erfüllt sein. Das konnte das Bundessozialgericht nicht abschließend entscheiden. Deshalb hat das Bundesozialgericht den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Das Landessozialgericht muss diese Voraussetzung noch prüfen.

Im zweiten Fall hat das Bundessozialgericht entschieden, dass dem Gehbehinderten das Merkzeichen „aG“ zusteht. Der auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft gerichtete Sinn und Zweck des Schwerbehindertenrechts umfasst gerade auch das Aufsuchen veränderlicher und vollkommen unbekannter Einrichtungen des sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die Gehfähigkeit ausschließlich in einer vertrauten Umgebung steht der Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ nicht entgegen. Die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung des Klägers entspricht auch einem GdB von 80.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Mit dieser Entscheidung hat das Bundessozialgericht die Integration und die Teilhabe behinderter Menschen am Leben gefördert. Als Maßstab wurde die Fortbewegungsfähigkeit im öffentlichen Raum zugrunde gelegt und nicht die Fortbewegungsmöglichkeit in einem geschützten Rahmen.

Quelle: Bundessozialgericht, Beschlüsse vom 09.03.2023, Az. B 9 SB 1/22 R und B 9 SB 8/21 R, Pressemitteilung vom 10.03.2023

Veranstaltungen

Vortrag: Was gibt es Neues im Betreuungsrecht?

Unser Referent Holger Marx informiert Sie über die gesetzlichen Änderungen, die ab dem 01.01.2023 gelten.

Referent:         Holger Marx, Verwaltungsfachwirt, Fachbereichs-Leiter Sozialpsychiatrischer Dienst und Betreuungsbehörde Kreisverwaltung Mainz-Bingen

Termin:            Mittwoch, 12.04.2023, 18:00–20:00 Uhr

Ort:                    Multifunktionsraum der Stadtbibliothek Idar-Oberstein, Hauptstraße 373a/Zugang Austraße, 55743 Idar-Oberstein

Bitte melden Sie sich zu dem Vortrag unter Tel.: 06781 667421 oder per E-Mail unter betreuungsverein@awo-birkenfeld.de an.

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Vortrag: Vermögenssorge im Zeitalter der Digitalisierung

Sämtliche Aspekte der Vermögenssorge werden unter Berücksichtigung der Digitalisierung dargestellt. Vor allem erfahren Sie wie Sie diese Möglichkeiten für sich und Ihr Ehrenamt nutzen können. Es bleibt genügend Zeit für Ihre Fragen.

Referent:            Joachim Fried, Bankkaufmann, Berufsbetreuer

Termin:               Donnerstag, 04.05.2023, 18:00 – 20.00 Uhr

Ort:                       Multifunktionsraum der Stadtbibliothek Idar-Oberstein Hauptstraße 373a/Zugang Austraße, 55743 Idar-Oberstein

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News

Hör-Tipp: Podcast-Folge zum neuen Betreuungsrecht

Barbara Dannhäuser ist in dem Podcast „familiensachen“ zu Gast. Sie koordiniert als Referentin für Betreuungsrecht 270 Betreuungsvereine in ganz Deutschland.

Der Podcast wird von der „FamRZ“ gehostet. Das ist eine juristische Fachzeitschrift für das gesamte Familienrecht, die im Gieseking Verlag, Bielefeld, erscheint. In Folge 12 geht es um das neue Betreuungsrecht.

Hier gelangen Sie zu dem Podcast: https://www.famrz.de/podcast/famrz-podcast-folge-12-2-reform-des-betreuungsrechts.html

Selbstverständlich finden Sie den Podcast auch bei den üblichen Plattformen.

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Neu aufgelegt: Schriften des Bundesjustizministeriums

Pünktlich zum 01.01.2023 wurden auch die drei Schriften des Bundesjustizministeriums zum Betreuungsrecht und zur Patientenverfügung neu aufgelegt.

Sie finden nun die Publikationen „Betreuungsrecht“, „Betreuungsrecht in Leichter Sprache“ und „Patientenverfügung“ auf aktuellem Rechtsstand. Ferner können Sie sich auch kompakter informieren. Dafür stehen Ihnen die kürzeren Downloads

zur Verfügung.

Interessant ist auch der Einblick, wie die Betreuungsreform den Personen vermittelt wird, mit denen Sie bei der ehrenamtlichen Betreuung zu tun haben:

  • ’ts für Ärztinnen und Ärzte

Alle Downloads finden Sie unter diesem Link:

https://www.bmj.de/DE/Themen/FokusThemen/BetreuungsR-Reform/BetreuungsR-Reform_node.html

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Veranstaltungen

Grundkurs: Rechtliche Betreuung

Wenn Sie eine rechtliche Betreuung übernehmen oder schon etwas länger dabei sind, haben Sie vermutlich viele Fragen. In unserem Grundkurs werden diese beantwortet und Sie übernehmen Ihr Ehrenamt bestens vorbereitet.

Der Grundkurs umfasst fünf Module. Bei Teilnahme an mindestens vier Modulen erhalten Sie eine Teilnahmebescheinigung. Sämtliche Termine finden im Sitzungssaal der Kreisverwaltung Birkenfeld, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld, statt.

Modul 1: Kennenlernen, Grundbegriffe des Betreuungsrechts, Neuerungen

Referent:            Andreas Helms, Dipl.-Sozialarbeiter (FH), Sozialtherapeut
Termin:               Mittwoch, 21.06.2023, 18:00–20:00 Uhr

Modul 2: Aufgabenkreise, Betreuungsgericht, Betreuungsbehörde, Betreuungsvereine, Berufsbetreuerinnen und -betreuer

Referentin:        Helga Steen-Helms, Dipl.-Sozialpädagogin (FH), Juristin
Termin:               Mittwoch, 28.06.2023, 18:00–20:00 Uhr

Modul 3: Ablauf des Betreuungsverfahrens

Referent:            Karl-Heinz Bußmann, Rechtspfleger am Amtsgericht Idar-Oberstein
Termin:               Mittwoch, 05.07.2023, 18:00–20:00 Uhr

Modul 4: Geistige und körperliche Behinderungen, psychische Erkrankungen

Referent:            Dr. med. Martin Michael, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und öffentliches
                               Gesundheitswesen
Termin:               Mittwoch, 12.07.2023, 18:00–20:00 Uhr

Modul 5: Genehmigungspflichten, die Betreuer*innenrolle, Hilfestellungen, Aufwandspauschale, Versicherung, Arbeitshilfen, Auswertung

Referent:            Christoph Überschär, Dipl.-Heilpädagoge (FH)
Termin:               Mittwoch, 19.07.2023, 18:00–20:00 Uhr

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Hätten Sie es gewusst?

Ist eine Videoverhandlung im Betreuungsverfahren möglich?

Ja, unter bestimmten Umständen, sagt das Amtsgericht Offenbach in seinem Beschluss vom 23.02.2023 (Az. 2 XVII 403/22).

Nach § 278 Abs. 1 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) muss das Gericht vor der Bestellung eines Betreuers bzw. einer Betreuerin oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts den Betroffenen persönlich anhören und dessen Wünsche erfragen. Es hat sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Diesen persönlichen Eindruck soll sich das Gericht in dessen üblicher Umgebung verschaffen, wenn es der Betroffene verlangt oder wenn es der Sachaufklärung dient und der Betroffene nicht widerspricht.

Hintergrund der Entscheidung, eine Videoverhandlung zuzulassen, war die große Entfernung zwischen dem Aufenthaltsort des Betroffenen, der in der Berliner Charité war, und dem zuständigen Amtsgericht in Offenbach. Deshalb hielt es das Amtsgericht für praktikabler, die Anhörung per Video durchzuführen. Der Betroffene wurde hierbei von der Klinik unterstützt. Das Amtsgericht konnte sich einen ausreichenden persönlichen Eindruck verschaffen. Gleiches gilt für den Verfahrenspfleger, der ebenfalls zugeschaltet war. Eine solche Verfahrensweise war gemäß § 32 Abs. 3 FamFG in Verbindung mit § 128a Zivilprozessordnung und aufgrund der Entfernung zwischen Berlin und Offenbach geboten bzw. gegenüber einer Anhörung im Wege der Rechtshilfe vorzugswürdig. Nach § 32 Abs. 3 FamFG darf das Gericht den Sachverhalt mit den Beteiligten im Wege der Bild- und Tonübertragung erörtern.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 23.03.2016, Az. 1 BvR 184/13) steht einer Anhörung im Wege der Video-Konferenz nicht entgegen, zumindest nicht dann, wenn wie hier alle Beteiligten mit einer solchen Verfahrensweise einverstanden sind. Das Bundesverfassungsgericht fordert in der zitierten Entscheidung eine persönliche Anhörung „im Angesicht“ des Betroffenen, also ein Sehen und – wie auch anders – ein Hören. Beides ist über Video gewährleistet. Die moderne Videokonferenztechnik lässt ein unmittelbares Gegenüber zu und ist geeignet, die Ziele des § 278 FamFG zu erreichen, wonach ein unmittelbarer Kontakt zum Betroffenen hergestellt und das Gericht in die Lage versetzt werden soll, sich ein eigenes Bild von den aktuellen Lebensumständen des Betroffenen zu machen.

Das regelmäßig durch die Videokonferenzanlage übertragene Bild entspricht in etwa der Lebenssituation, wie sie in einer Klinik mit einem in wenigen Metern Entfernung sitzenden Anzuhörenden entsteht. Verhalten, Auftreten, Mimik und Körpersprache des Gegenübers werden direkt übermittelt. Dem Gericht ist es schließlich mithilfe der Videokonferenztechnik auch möglich, die Tragweite einer Betreuung oder Unterbringung deutlich zu machen, und auch der Betroffene wie der Verfahrenspfleger haben die unmittelbare Gelegenheit zur persönlichen Äußerung.
(Quelle: Amtsgericht Offenbach, Beschluss vom 23.02.2023, Az. 2 XVII 403/22)

Über Lob freuen wir uns, Kritik nehmen wir ernst!

AWO-Betreuungsverein für den Kreis Birkenfeld e.V.

Hauptstraße 531–533

55743 Idar-Oberstein
betreuungsverein@awo-birkenfeld.de

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