Newsletter 02/2023

Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,

vermutlich fast so schnell wie Sie mussten sich schon unsere Gerichte mit dem neuen Betreuungsrecht auseinandersetzen.

Konkret musste das Amtsgericht Frankfurt am Main bereits am 15.01.2023 entscheiden, ob es notwendig ist, eine gesetzliche Betreuung im Eilverfahren einzurichten, oder ob das neu eingeführte Ehegattennotvertretungsrecht eingreift. Zu diesem Zeitpunkt galt das Ehegattennotvertretungsrecht gerade mal 15 Tage. Daran lässt sich schön erkennen, wie viel Staub die neuen gesetzlichen Bestimmungen aufwirbeln: Erst 15 Tage auf der Welt – und schon gibt es Streit!

Ein Trost ist, dass alle Beteiligten sich gerade in der neuen Situation zurechtfinden müssen. Den Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuern geht es nicht anders als Ihnen, wenn Sie ehrenamtlich eine Betreuung führen.

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Überschär

Aktuelle Rechtsprechung

Das Ehegattennotvertretungsrecht hat in diesem Fall Vorrang

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass das Verfahren auf Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers im Wege einer einstweiligen Anordnung, also im Eilverfahren, einzustellen ist. In der fraglichen Situation ging das Ehegattennotvertretungsrecht gemäß § 1358 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor und machte eine Betreuerbestellung im Eilverfahren deshalb überflüssig.

Amtsgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.01.2023, Az. 43 XVII 178/23

Das ist passiert:

Ein Arzt des Universitätsklinikums Frankfurt am Main regte die Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers für den Betroffenen im Wege einer einstweiligen Anordnung an. Der Betroffene war verheiratet. Das Klinikpersonal brachte außerdem vor, dass es eine „Sprachbarriere“ befürchtet, weil die Ehefrau nicht so gut Deutsch spräche.

Darum geht es:

Das Amtsgericht Frankfurt am Main müsste entscheiden, ob diese Betreuung im Eilverfahren angeordnet werden muss oder ob das Ehegattennotvertretungsrecht in diesem Fall eingreift.

Die Entscheidung:

Das Amtsgericht hat das Verfahren eingestellt, denn in der vorliegenden Konstellation ging das gemäß § 1358 BGB eintretende Ehegattennotvertretungsrecht vor.

Durch das Ehegattennotvertretungsrecht entsteht eine (zeitlich befristete) gesetzliche Vertretungsmacht in Gesundheitsangelegenheiten. Ehegatten sollen danach füreinander Entscheidungen über medizinische Behandlungen, Untersuchungen usw. treffen und Behandlungsverträge abschließen können, wenn ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten nicht mehr erledigen kann. Das Betreuungsgericht muss in solchem Fall keine gerichtliche Entscheidung über das Entstehen eines Vertretungsrechts feststellen.

Mit diesem Gesetz wollte der Gesetzgeber auch die Anzahl der gerichtlichen Verfahren auf Anordnung einstweiliger Anordnung bei verheirateten Ehegatten reduzieren. Diesem Motiv würde zuwidergehandelt, wenn nun doch regelhaft seitens der erstbehandelnden Krankenhäuser Eilbetreuungen angeregt werden, obwohl Ehegatten bekannt und präsent sind.

Zwar sind in § 1358 Abs. 3 BGB Ausnahmen zum Entstehen des Ehegattenvertretungsrechts vorgesehen. Solche liegen hier aber nicht vor und es ist zudem die Aufgabe des behandelnden Arztes oder der behandelnden Ärztin zu überprüfen, ob ein derartiger Ausnahmetatbestand gegeben ist. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber schließlich vorgesehen, dass das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe in Abs. 3 seitens des vertretenden Ehegattens dem Arzt gegenüber versichert werden soll (§ 1358 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3b) BGB). Das Betreuungsgericht ist demnach auch nicht nach § 26 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit verpflichtet, diese Ermittlungen für die Ärztinnen und Ärzte zu übernehmen.

Die von der Klinik hier zusätzlich vorgebrachte „Sprachbarriere“ (so wörtlich) der Ehefrau stellt schon von vornherein keinen Ausschlussgrund für das Eintreten des Vertretungsrechts dar. Eine wie auch immer geartete Eignungsprüfung des Ehegatten findet vor Eintritt des gesetzlichen Ehegattennotvertretungsrechts nicht statt.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

§ 1358 BGB ist lang und kompliziert. Dem Paragrafen liegt folgende Struktur zugrunde:

  • Abs. 1 und 2 der Norm regeln die Anwendungsfälle.
  • Abs. 3 befasst sich mit den Ausnahmefällen, also den „Nichtanwendungsfällen“.
  • Abs. 4 regelt die Verpflichtungen des behandelnden Arztes oder der Ärztin
  • Abs. 5 besagt, dass das Vertretungsrecht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn ein gesetzlicher Betreuer oder eine Betreuerin bestellt wurde, dessen/deren Aufgabenkreis die in Abs. 1 Nummer 1 bis 4 bezeichneten Angelegenheiten umfasst.
  • Abs. 6 führt aus, welche gesetzlichen Vorschriften, die für die Führung einer Betreuung gelten, entsprechend angewendet werden.

Zur Unterstützung des Kommunikationsprozesses zwischen vertretenden Ehegatten und behandelnden Ärzten haben u. a. die Bundesärztekammer und das Bundesjustizministerium einen entsprechenden Vordruck mitsamt der nach § 1358 Abs. 4 BGB notwendigen Bescheinigung erstellt.

Das Ehegattennotvertretungsrecht ist sinnvoll, denn es dient dem Bürokratieabbau. Aber es ist inhaltlich nur auf gesundheitliche Fragen und auch zeitlich auf sechs Monate (§ 1358 Abs. 3 Nr. 4 BGB) beschränkt. Deshalb ist es weiterhin notwendig und klug, eine Vorsorgevollmacht zu verfassen. Wir unterstützen Sie gerne dabei.

Quelle: Amtsgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.01.2023, Az. 43 XVII 178/23

Veranstaltungen

Grundkurs: Rechtliche Betreuung

Wenn Sie eine rechtliche Betreuung übernehmen oder schon etwas länger dabei sind, haben Sie vermutlich viele Fragen. In unserem Grundkurs werden diese beantwortet und Sie übernehmen Ihr Ehrenamt bestens vorbereitet.

Der Grundkurs umfasst fünf Module. Bei Teilnahme an mindestens vier Modulen erhalten Sie eine Teilnahmebescheinigung. Sämtliche Termine finden im Sitzungssaal der Kreisverwaltung Birkenfeld, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld, statt.

Modul 1: Kennenlernen, Grundbegriffe des Betreuungsrechts, Neuerungen

Referent:            Andreas Helms, Dipl.-Sozialarbeiter (FH), Sozialtherapeut
Termin:               Mittwoch, 21.06.2023, 18:00–20:00 Uhr

Modul 2: Aufgabenkreise, Betreuungsgericht, Betreuungsbehörde, Betreuungsvereine, Berufsbetreuerinnen und -betreuer

Referentin:        Helga Steen-Helms, Dipl.-Sozialpädagogin (FH), Juristin
Termin:               Mittwoch, 28.06.2023, 18:00–20:00 Uhr

Modul 3: Ablauf des Betreuungsverfahrens

Referent:            Karl-Heinz Bußmann, Rechtspfleger am Amtsgericht Idar-Oberstein
Termin:               Mittwoch, 05.07.2023, 18:00–20:00 Uhr

Modul 4: Geistige und körperliche Behinderungen, psychische Erkrankungen

Referent:            Dr. med. Martin Michael, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und öffentliches
                               Gesundheitswesen
Termin:               Mittwoch, 12.07.2023, 18:00–20:00 Uhr

Modul 5: Genehmigungspflichten, die Rolle von Betreuerinnen und Betreuern, Hilfestellungen, Aufwandspauschale, Versicherung, Arbeitshilfen, Auswertung

Referent:            Christoph Überschär, Dipl.-Heilpädagoge (FH)
Termin:               Mittwoch, 19.07.2023, 18:00–20:00 Uhr

Bitte melden Sie sich zu der Veranstaltung unter Tel.: 06781 667421 oder per E-Mail unter betreuungsverein@awo-birkenfeld.de an.

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Gesetzgebung

Das neue Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz:
Diese Änderungen kommen auf Sie zu

Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf am 26.05.2023 verabschiedet. Mit dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz sind Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige und deren Angehörige auf den Weg gebracht worden. Außerdem wird die finanzielle Lage der sozialen Pflegeversicherung stabilisiert, die Arbeitsbedingungen für beruflich Pflegende verbessert und die Digitalisierung in der Langzeitpflege gestärkt.

Die wichtigsten finanziellen Neuerungen für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige

Ab dem 01.01.2024 gelten diese Besonderheiten für Pflegebedürftige mit den Pflegegraden 4 und 5 bis zum Alter von 25 Jahren

  • Die Verhinderungspflege (ermöglicht bei Verhinderung der Pflegeperson eine häusliche Pflege) kann anstatt bis zu sechs bereits bis zu acht Wochen im Kalenderjahr in Anspruch genommen werden.
  • Auch die hälftige Fortzahlung eines zuvor bezogenen (anteiligen) Pflegegeldes während der Verhinderungspflege erfolgt anstatt für bis zu sechs bereits für bis zu acht Wochen im Kalenderjahr.
  • Es können im Kalenderjahr bis zu 100 Prozent – im Jahr 2024 also bis zu 1.774 Euroder Mittel der Kurzzeitpflege zugunsten der Verhinderungspflege umgewidmet werden, soweit die Mittel nicht bereits für Leistungen der Kurzzeitpflege verbraucht worden sind (der umgewidmete Betrag wird dabei auf den Leistungsbetrag der Kurzzeitpflege angerechnet, vermindert diesen also entsprechend) und
  • die sechsmonatige Vorpflegezeit vor der erstmaligen Inanspruchnahme von Verhinderungspflege entfällt.

Die Leistungszuschläge, die die Pflegeversicherung nach § 43c SGB XI für Pflegebedürftige ab dem Pflegegrad 2 in vollstationären Pflegeeinrichtungen übernimmt, werden erhöht. Die Höhe der monatlichen Zuschläge ist dabei abhängig von der Verweildauer der Pflegebedürftigen in der vollstationären Pflege. Der reguläre Beitragssatz zur Pflegeversicherung wird zum 01.07.2023 moderat um 0,35 Prozentpunkte angehoben.

Hinsichtlich der Leistungszuschläge und der genauen Höhe der Beiträge können Sie sich unter diesem Link informieren.

Quelle: www.Bundesjustizministerium.de, 26.05.2023

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Wie Sie Ihre persönliche Eignung nachweisen

Nach § 21 Betreuungsorganisationsgesetz, das seit dem 01.01.2023 gilt, müssen Sie Ihre persönliche Eignung und Zuverlässigkeit zum Führen einer ehrenamtlichen Betreuung nachweisen. Das ist nicht immer einfach, wenn man mit den Tücken der Digitalisierung kämpft.

Zur Feststellung Ihrer persönlichen Eignung und Zuverlässigkeit müssen Sie der zuständigen Behörde ein Führungszeugnis nach § 30 Abs. 5 Bundeszentralregistergesetz sowie eine Auskunft aus dem zentralen Schuldnerverzeichnis nach § 882b Zivilprozessordnung, die jeweils nicht älter als drei Monate sein sollen, vorlegen.

Besonders die Auskunft aus dem zentralen Schuldnerverzeichnis ist nicht einfach einzuholen. Um diese Auskunft zu erhalten, müssen Sie sich auf dem zentralen Vollstreckungsportal registrieren. Dann bekommen Sie zunächst eine PIN per Post, die Sie dann auf dem Portal eingeben. Erst dann erhalten Sie Ihre Auskunft.

Für jede Betreuung, die Sie führen, benötigen Sie jeweils eine gesonderte Auskunft. Wird eine bestehende Betreuung nach sieben Jahren verlängert, müssen Sie die Auskunft nach dem zentralen Schuldnerverzeichnis nicht mehr beibringen.

Wie dem auch sei: Wir unterstützen Sie in jedem Fall und beantworten Ihnen gerne Ihre Fragen, damit Sie Ihr anspruchsvolles Ehrenamt weiterhin engagiert ausüben können.

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Veranstaltungen

Stammtisch für Betreuerinnen und Betreuer

Treffen Sie sich mit anderen Betreuungspersonen und Bevollmächtigten sowie den Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern der Betreuungsvereine, tauschen Sie sich in ungezwungener Atmosphäre aus und profitieren Sie von den Erfahrungen anderer für Ihre Arbeit.

Von anderen hören und lernen, Erlebtes teilen und eine gute Zeit gemeinsam verbringen – unser Stammtisch findet in der Regel an jedem ersten Donnerstag im Monat statt.

Termin:           Donnerstag, 06.07.2023, 18:00 – 20:00 Uhr
Ort:                 Achathotel Zum Schwan, Hauptstraße 25, 55743 Idar-Oberstein

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Hätten Sie es gewusst?

Darf Pflegegeld gepfändet werden?

Nein, sagt der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 20.10.2022 (Az. IX ZB 12/22). Das an die Pflegeperson weitergeleitete Pflegegeld ist unpfändbar.

Eine Mutter pflegte ihren autistischen Sohn. Der Sohn bezog Pflegegeld, das er an seine Mutter weiterleitete.

Die Mutter geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten und musste Insolvenz beantragen. Der Insolvenzverwalter wollte so viel Geld wie möglich bei der Mutter pfänden. Deshalb beantragte er, bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens das Arbeitseinkommen mit dem Pflegegeld zusammenzurechnen.

Der Bundesgerichtshof gab ihm aber nicht recht. Die Voraussetzungen für eine Zusammenrechnung sind nämlich nicht erfüllt, denn nach § 851 Abs. 1 Zivilprozessordnung und § 399 Bürgerliches Gesetzbuch ist das an die Mutter weitergeleitete Pflegegeld unpfändbar, weil der Anspruch nicht übertragbar ist.

Pflegegeld wird dem Pflegebedürftigen gewährt, wenn er in seiner häuslichen Umgebung oder im Haushalt einer Pflegeperson gepflegt wird, und soll die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen stärken, der mit der Geldleistung seine Pflegehilfen selbst gestalten kann. Das Pflegegeld stellt seiner Konzeption nach kein Entgelt für die von der Pflegeperson erbrachten Pflegeleistungen dar. Es setzt vielmehr den Pflegebedürftigen in den Stand, Angehörigen und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die mit großem Einsatz und Opferbereitschaft im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege zukommen zu lassen.

Das Pflegegeld bietet somit einen Anreiz zur Erhaltung der Pflegebereitschaft der Angehörigen, Freunde oder Nachbarn. Der Konzeption des Pflegegeldes liegt der Gedanke zugrunde, dass familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege unentgeltlich erbracht wird. Das Pflegegeld ergänzt sie nur. Es braucht der Höhe nach nicht dem an professionelle Pflegekräfte zu zahlenden Entgelt zu entsprechen.

Dieser Zweck des Pflegegeldes könnte nicht erreicht werden, wenn das Pflegegeld zwar beim Pflegebedürftigen unpfändbar bliebe, bei der Pflegeperson aber gepfändet werden könnte, weil es zum Arbeitseinkommen addiert werden könnte.

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Über Lob freuen wir uns, Kritik nehmen wir ernst!

AWO-Betreuungsverein für den Kreis Birkenfeld e.V.

Hauptstraße 531–533

55743 Idar-Oberstein
betreuungsverein@awo-birkenfeld.de

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