Newsletter 03/2023

Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,

nicht lang ist es her, dass die Bahnmitarbeitenden den Schienenverkehr lahmgelegt haben, um für mehr Geld in ihrem Portemonnaie zu sorgen. Gefühlt in jeder Branche wurde für einen finanziellen Ausgleich der Inflation gekämpft.

Nun wird auch das Betreuungswesen von einem Inflationsausgleich profitieren und als ehrenamtliche Betreuerin oder ehrenamtlicher Betreuer erhalten Sie 24 € pro Jahr für jede Betreuung, um die Folgen der Teuerungsrate zu mildern. Nun, ja.

Wesentlich mehr als Ihr finanzieller Spielraum wurde der Wunsch der Betroffenen gestärkt, von Familienangehörigen betreut zu werden. Lesen Sie selbst, was der Bundesgerichtshof entschieden hat.

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Überschär

Aktuelle Rechtsprechung

Gerichte müssen die grundsätzliche Entscheidung für die Betreuung durch Angehörige berücksichtigen

Sind behebbare Mängel bei der Ausübung der Vorsorgevollmacht festzustellen, etwa, wenn zwei bevollmächtige Angehörige sich nicht über die Art und Weise der Führung der Betreuung einigen können, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers oder einer Kontrollbetreuerin auf die Bevollmächtigten positiv einzuwirken. Erst wenn dieser Versuch scheitert, kann von dem grundsätzlichen Wunsch der Betroffenen, lieber von Familienangehörigen betreut zu werden, abgewichen werden. Das Gericht ist verpflichtet, sich einen persönlichen Eindruck von den Betroffenen zu verschaffen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.03.2023, Az. XII ZB 515/22; www.bundesgerichtshof.de

Das ist passiert:

Bereits im Jahr 2006 hatte eine Frau ihrer Tochter und ihrem Enkel Vorsorgevollmachten zur jeweils alleinigen Ausübung erteilt.

Bis 2021 wurde sie in häuslicher Intensivpflege 24 Stunden täglich im Haus des Enkels durch einen Pflegedienst betreut, wobei auch der Enkel Maßnahmen der Grundpflege übernahm. Am 03.08.2021 erstattete der Pflegedienst eine Strafanzeige gegen den Enkel wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen, laut derer er lebensgefährdende Manipulationen am Beatmungsschlauch vorgenommen haben soll. Am 16.08.2021 wurde die Betroffene durch eine vom Amtsgericht vorläufig bestellte Betreuerin in eine Intensivwohngemeinschaft verlegt.

Mit Beschluss vom 11.02.2022 hat das Amtsgericht eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, der Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber ihrem/ihrer Bevollmächtigten, Gesundheitssorge, Heimangelegenheiten, Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern eingerichtet und die bisher vorläufige Betreuerin als Berufsbetreuerin bestimmt.

Tochter und Enkel legten gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, die vom Landgericht zurückgewiesen wurde. Dagegen richtete sich die Rechtsbeschwerde der Tochter.

Darum geht es:

Der Bundesgerichtshof musste entscheiden, ob die Einsetzung der Berufsbetreuerin rechtens war.

Die Entscheidung:

Der Bundesgerichtshof hielt die Rechtsbeschwerde für begründet. Deshalb hat er die angefochtene Entscheidung aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht muss nun noch mal entscheiden.

Im Wesentlichen stützt der BGH seine Entscheidung auf zwei Argumente:

  1. Zwischen beiden Bevollmächtigten bestünden erhebliche innerfamiliäre Spannungen. Aufgrund ihrer Uneinigkeit in der Frage des Aufenthalts und der pflegerischen Versorgung würden sich beide in der Vollmachtausübung gegenseitig blockieren. Die Eignung des Enkels könne derzeit auch wegen der gegen ihn erhobenen und noch nicht abschließend geklärten Misshandlungsvorwürfe nicht bejaht werden. Die Tochter sei zur selbstständigen Ausübung der Betreuung nicht in der Lage, weil sie keine eigenen konkreten Vorstellungen darüber entwickele, wie sie sich um die Betroffene kümmern wolle, sondern nur den Pflegedienst für sie sprechen lasse. Objektiv betrachtet, sei die Berufsbetreuerin geeigneter, die Betreuung zu führen.

Gemäß § 1814 Abs. 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darf ein Betreuer nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können (§ 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Steht die hier vom Landgericht nicht in Zweifel gezogene Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht fest, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen nach dessen Wünschen zu besorgen, insbesondere, wenn zu befürchten ist, dass er die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers besorgt.

Laut BGH ist aber nicht entscheidend, ob die Berufsbetreuerin objektiv besser geeignet wäre, die Betreuung zu führen. Die grundsätzliche Entscheidung der Betroffenen gegen die Fremdbetreuung und für eine Vorsorgevollmacht für Familienangehörige sei zu respektieren.  Außerdem hätte das Landgericht erst mildere Mittel prüfen müssen, bevor es von den Wünschen der Betroffenen abweicht. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf die Bevollmächtigten positiv einzuwirken. Ein solcher Kontrollbetreuer kann Auskünfte verlangen und Weisungen erteilen. Außerdem kann das Betreuungsgericht gemäß § 1820 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BGB auch unmittelbar zwischen zwei gleichrangig Bevollmächtigten regeln, wer in einer konkreten Frage allein entscheiden darf.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Der Bundesgerichtshof nimmt die Entscheidung zum Anlass, noch mal in aller Deutlichkeit auf die persönliche Anhörung der Betroffenen hinzuweisen. Sinn der Vorschrift ist es, sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu verschaffen.

Die Entscheidung stärkt zudem das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen. Mit einer Vorsorgevollmacht kann verhindert werden, dass letzten Endes ein Fremder über die persönlichen Belange entscheidet.

Falls Sie noch keine Vorsorgevollmacht haben, lassen Sie sich darüber in unserem Betreuungsverein beraten.

Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.03.2023, Az. XII ZB 515/22; www.bundesgerichtshof.de

+++

Veranstaltungen

Aufbaukurs: Rechtliche Betreuung

Das Angebot des Aufbaukurses richtet sich an ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer und Interessierte, die bereits an einem Grundkurs „Rechtliche Betreuung“ teilgenommen haben. Durch den Grundkurs wurden Basisqualifikationen vermittelt. Im Aufbaukurs sollen darauf aufbauend Ihre bereits erworbenen Kenntnisse und Ihre persönlichen, durch die Führung der Betreuung gewonnenen Erfahrungen vertieft werden.

Der Aufbaukurs „Rechtliche Betreuung“ umfasst drei Module. Bei Teilnahme an mindestens zwei Modulen erhalten Sie eine Teilnahmebescheinigung.

Modul 2: Unterstützte Entscheidungsfindung

Referentin:        Eva Herrmann, Dipl.-Sozialpädagogin, Berufsbetreuerin
Termin:               Mittwoch, 21.09.2023, 18:00–20:00 Uhr
Ort:                       Multifunktionsraum der Stadtbibliothek Idar-Oberstein, Hauptstraße 373a/
                               Zugang Austraße, 55743 Idar-Oberstein

Modul 3: Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen

Referent:            Christoph Überschär, Dipl.-Heilpädagoge (FH)
Termin:               Mittwoch, 27.09.2023, 18:00–20:00 Uhr
Ort:                       Multifunktionsraum der Stadtbibliothek Idar-Oberstein, Hauptstraße 373a/
                               Zugang Austraße, 55743 Idar-Oberstein

Bitte melden Sie sich zu der Veranstaltung unter Tel.: 06781 667421 oder per E-Mail unter betreuungsverein@awo-birkenfeld.de an.

+++

Vortrag: Alkoholismus – Definition, Krankheitsverlauf und Hilfsmöglichkeiten

Referent:         Andreas Helms, Dipl.-Sozialarbeiter (FH), Sozialtherapeut

Termin:               Mittwoch, 18.10.2023, 18:00–20:00 Uhr
Ort:                       Multifunktionsraum der Stadtbibliothek Idar-Oberstein, Hauptstraße 373a/
                               Zugang Austraße, 55743 Idar-Oberstein

+++

Gesetzgebung

Inflationsausgleich für rechtliche Betreuerinnen und Betreuer

Rechtliche Betreuerinnen und Betreuer sollen eine Sonderzahlung erhalten, um ihre inflationsbedingte finanzielle Mehrbelastung abzufedern. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den das Bundesministerium der Justiz heute veröffentlicht hat. Von der Sonderzahlung sollen Betreuungsvereine, selbstständige berufliche Betreuerinnen und Betreuer sowie ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer profitieren. Der Gesetzentwurf sieht daneben eine Änderung des Betreuungsorganisationsgesetzes vor, um ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer bei der Prüfung ihrer persönlichen Eignung und Zuverlässigkeit zu entlasten.

Inflationsausgleich für ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer

Ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer sollen eine Inflationsausgleichs-Sonderzahlung in Höhe von 24 € pro Jahr für jede geführte Betreuung erhalten.

Weniger Bürokratie für ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer

Mit einer Änderung des § 21 Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG) kann die zuständige Behörde die Auskunft aus dem zentralen Schuldnerverzeichnis nun ausdrücklich auch selbst einholen. Potenzielle ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer werden so in Vorbereitung ihres ehrenamtlichen Engagements von bürokratischen Hürden entlastet.

Inflationsausgleich für berufliche Betreuerinnen und Betreuer

Die Inflationsausgleichs-Sonderzahlung in Höhe von 7,50 € für berufliche Betreuerinnen und Betreuer soll monatsweise und pro geführte Betreuung ausgezahlt werden und auf den Zeitraum von Anfang 2024 bis Ende 2025 begrenzt sein. Um keinen zusätzlichen Verwaltungsaufwand entstehen zu lassen, soll sie zusammen mit der quartalsweisen Vergütungsfestsetzung beim zuständigen Betreuungsgericht geltend gemacht werden. Durch die Schaffung der Inflationsausgleichs-Sonderzahlung wird die Notwendigkeit, das Vergütungssystem entsprechend der gesetzlichen Vorgabe insgesamt zu evaluieren, nicht aufgehoben. Die Evaluierung wird, wie im Gesetz vorgesehen, bis Ende 2024 durchgeführt.

Der Gesetzentwurf soll als Formulierungshilfe der Bundesregierung in das parlamentarische Verfahren eingebracht werden. Den Gesetzentwurf können Sie hier abrufen.

Quelle: www.Bundesjustizministerium.de, Pressemitteilung vom 24.07.2023

+++

Veranstaltungen

Vortrag: Sexualisierte Gewalt und ihre Folgen –
Trauma erkennen und verstehen

Referentinnen:                Barbara Zschernack, Dipl.-Sozialarbeiterin (FH), Systemische Therapeutin (WISPO), Trauma-Fachberaterin

Melanie Sauer, Dipl.-Pädagogin, Fachberaterin für Psychotraumatologie

Termin:                               Mittwoch, 22.11.2023, 18:00–20:00 Uhr
Ort:                                       Sitzungssaal der Kreisverwaltung Birkenfeld, Schneewiesenstraße 25,
                                               55765 Birkenfeld

+++

Stammtisch für Betreuerinnen und Betreuer

Treffen Sie sich mit anderen Betreuungspersonen und Bevollmächtigten sowie den Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern der Betreuungsvereine, tauschen Sie sich in ungezwungener Atmosphäre aus und profitieren Sie von den Erfahrungen anderer für Ihre Arbeit.

Von anderen hören und lernen, Erlebtes teilen und eine gute Zeit gemeinsam verbringen – unser Stammtisch findet in der Regel an jedem ersten Donnerstag im Monat statt.

Termin:               Donnerstag, 05.10; 02.11.; 07.12.2023, 18:00–20:00 Uhr
Ort:                       Achathotel Zum Schwan, Hauptstraße 25, 55743 Idar-Oberstein

+++

Hätten Sie es gewusst?

Welche Personen sind von der Betreuertätigkeit ausgeschlossen?

Laut § 1816 Abs. 6 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dürfen Personen, die zu einem Träger von Einrichtungen oder Diensten,

nicht zum Betreuer bestellt werden.

Seit Geltung des neuen Betreuungsrechts wurde dieser Personenkreis ausgeweitet. Nach der bis zum 31.12.2022 geltenden Vorschrift waren nur Personen ausgeschlossen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis oder einer sonstigen engen Beziehung zu einer Wohn- oder Unterbringungseinrichtung standen. Mit der Reform gilt dies jetzt auch für alle Personen mit einer engen Verbindung zu ambulanten Diensten, die die Versorgung des Betroffenen gewährleisten.

+++

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*