Newsletter 02/2022

Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,

wussten Sie, wie viele Betreuungen in Deutschland von Ehrenamtlichen geführt werden? Ich habe für diesen Newsletter noch mal die Zahlen recherchiert. Die Antwort finden Sie in der Rubrik „Hätten Sie es gewusst?“.

Angesichts der Schwierigkeiten Ihrer Aufgabe ist es umso schöner, dass so viele Menschen ehrenamtlich eine rechtliche Betreuung übernehmen und sich für die Belange anderer aufopferungsvoll einsetzen. Ein Großteil der gesetzlichen Betreuungen wird ehrenamtlich von Familienangehörigen geführt.

Die Schwierigkeiten, die Ihr Ehrenamt bereithalten kann, zeigen sich in unserem Rechtsprechungsfall. Dort hat eine Berufsbetreuerin fahrlässig einen Fehler gemacht, der jedoch für Ihre Betreute zum Glück keine negativen Konsequenzen hatte.

Trotz aller widriger Umstände in der Welt wünsche ich Ihnen einen schönen Sommer!

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Überschär

Aktuelle Rechtsprechung

Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten: Wann muss sich eine Betreute das Verhalten ihrer Betreuerin zurechnen lassen?

Normalerweise gilt: Wer mit den Monatsmieten zwei Monate im Rückstand ist, riskiert die Kündigung seiner Wohnung. Eine Betreuerin sorgte fahrlässig nicht dafür, dass die Miete ihrer Betreuten auf dem Konto des Vermieters einging. Muss sich die Betreute diese Fahrlässigkeit zurechnen lassen? Lesen Sie, wie das Landgericht Berlin entschieden hat.

Landgericht Berlin, Beschluss vom 08.02.2022, Az. 67 S 298/21

Das ist passiert:

Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis der Wohnung einer seit 2017 unter Betreuung stehenden Frau. Die Betreute war mit zwei Monatsmieten im Rückstand. Die Mietzahlungen sind seit Einrichtung der Betreuung im Jahr 2017 aber sonst stets zuverlässig geflossen.

Der zur Begründung der Kündigung herangezogene Mietrückstand ist nicht auf ein Eigenverschulden der Betreuten, sondern allein auf das ihr zugerechnete – und zudem lediglich fahrlässige – Verhalten ihrer auch für „Wohnungsangelegenheiten“ bestellten Betreuerin zurückzuführen.

Denn diese hatte im Dezember 2020 den Dauerauftrag für das stets gedeckte Konto ihrer Betreuten gekündigt und den Vermieter zur Verringerung des Verwaltungsaufwandes bei der Kontrolle und Anpassung der zu überweisenden Mietzahlungen darum gebeten, die Mieten künftig im Lastschriftverfahren einzuziehen. Nachdem der Vermieter der Bitte zur Umstellung des Zahlungsverkehrs „aus technischen Gründen“ nicht nachgekommen ist, gelang es der Betreuerin in der Folge bis zum Ausspruch der Kündigung am 07.01.2021 aus Gründen offensichtlicher Fahrlässigkeit nicht, den zuvor gekündigten Dauerauftrag wieder rechtzeitig zu aktivieren. Die Betreute ging zu Recht vertrauensvoll davon aus, dass die Betreuerin ihrer im Aufgabenkreis „Wohnungsangelegenheiten“ übertragenen Pflichten zur rechtzeitigen Anweisung des Mietzinses vollständig und pünktlich nachkommt.

Der Vermieter erhob Räumungsklage, aber die Klage scheiterte vor dem Amtsgericht. Aus diesem Grund griff der Vermieter die Entscheidung vor dem Landgericht an.

Darum geht es:

Es geht darum, ob die Räumungsklage berechtigt ist und ob die Betreute sich das fahrlässige Verhalten Ihrer Betreuerin zurechnen lassen muss.

Die Entscheidung:

Das Landgericht entschied, dass die Räumungsklage nicht begründet ist und das Mietverhältnis nicht durch Kündigung des Vermieters erloschen ist.

Die Betreute hat zwar pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt, indem sie vor Ausspruch der Kündigung die Mieten für Dezember 2020 und Januar 2021 nicht entrichtet hat. Ihr Verschulden entfällt nicht dadurch, dass der Zahlungsausfall ausschließlich auf einem Versehen ihrer für den Aufgabenbereich der „Wohnungsangelegenheiten“ bestellten Betreuerin beruht. Denn die Betreute muss sich das Fehlverhalten ihrer Betreuerin gemäß § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zurechnen lassen. In § 278 BGB steht sinngemäß, dass der Schuldner, also hier die Betreute, ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, also hier der Betreuerin, in gleichem Umfang zu vertreten hat wie eigenes Verschulden.

Jedoch war diese Pflichtverletzung der Beklagten nicht hinreichend erheblich im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Nach dieser Norm des Mietrechts liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Für die Beurteilung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung sind im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen

Aus diesem Grund verbieten sich schematische Beurteilungen. Zu berücksichtigen sind bei einem wegen Zahlungsverzugs gekündigten Mieter – wie bei allen sonstigen verhaltensbedingten Pflichtverletzungen des Mieters auch – stets die folgenden Umstände:

Gemessen an diesen Grundsätzen, war die Pflichtverletzung der beklagten Betreuten nicht hinreichend erheblich. Zwar ist zu ihren Lasten der Kündigungsrückstand in Höhe von zwei vollen Monatsmieten und die abstrakte Wiederholungsgefahr einer weiteren Zahlungspflichtverletzung zu berücksichtigen. Dazu treten jedoch zu ihren Gunsten – und für die Gesamtabwägung wesentlich – der lediglich geringe Grad des Verschuldens, die besonderen persönlichen Umstände der Mieterin und der Umstand, dass die Mieterin nicht selbst pflichtwidrig gehandelt hat, sondern sich die schuldhafte Pflichtverletzung ihrer Betreuerin als Fremdverschulden gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss. Ein solches wiegt für den Mieter bei der Beurteilung der Erheblichkeit seiner Pflichtverletzung weit weniger schwer als eigenes Verschulden Diese Wertung entspricht dem allgemeinen kündigungsrechtlichen Grundsatz, dass für den Gekündigten nicht erkenn- oder beherrschbare Pflichtverstöße seines Erfüllungsgehilfen das Gewicht der ihm zugerechneten und zum Gegenstand der Kündigung erhobenen Pflichtverletzung deutlich mindern.

Darüber hinaus hat sich auch der Vermieter pflichtwidrig verhalten, indem er seiner hier ausnahmsweise bestehenden Pflicht zu einem Hinweis an die Mieterin auf den bestehenden Zahlungsrückstand vor Ausspruch der Kündigung zuwidergehandelt hat. Es entspricht aber einer aus dem Rücksichtnahmegebot des § 241 Abs. 2 BGB und den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) erwachsenen allgemeinen Vertragspflicht, seinem Vertragspartner auch während des Vertrages einen Hinweis zu erteilen, wenn eine von Letzterem unerkannte erhebliche Beeinträchtigung der mit dem Vertrag verfolgten Interessen droht.

So lag der Fall hier. Denn auch für den Vermieter, der noch unmittelbar zuvor mit der Betreuerin wegen der von dieser erbetenen Zahlungsumstellung korrespondiert hatte, musste es sich auch angesichts der spätestens seit Einrichtung der Betreuung im Jahre 2017 stets zuverlässigen Mietzahlungen aufdrängen, dass der Zahlungsausfall nicht auf einer Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der Mieterin beruhte, sondern allenfalls auf einem geringfügigen technischen oder organisatorischen Versehen ihrer Betreuerin im Zusammenhang mit der erbetenen Umstellung der Zahlungen auf den Lastschrifteinzug. Dass er diese Erkenntnis nicht zum Anlass einer an die Betreuerin der Beklagten gerichteten üblichen Zahlungsaufforderung oder Mahnung im Dezember 2020 oder spätestens im Januar 2021 genommen, sondern die unter Betreuung stehende Frau stattdessen durch umgehenden Ausspruch der Kündigung hat „ins Messer laufen lassen“, geht zu Lasten des Vermieters. Sein pflichtwidriges Unterlassen steht bereits für sich genommen, erst recht aber in der Gesamtschau mit den aufgezeigten übrigen Umständen des Einzelfalls, einer für den Kündigungsausspruch erforderlichen hinreichenden Erheblichkeit der Pflichtverletzung der Betreuten entgegen.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Das Landgericht hat sich gegen den „eisernen“ Grundsatz gestellt, dass zwei Monatsmieten Rückstand ein Kündigungsgrund für das Mietverhältnis sind. Auch Eisen lässt sich also biegen. Es ist erfreulich, dass die Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung gefunden haben.

Dennoch ist allen Betreuer:innen zu raten, dafür zu sorgen, dass der Schützling nicht mit den Mieten in Rückstand gerät. Falls es doch einmal passieren sollte, ist es ratsam, die Dinge nicht auszusitzen, sondern den offenen Dialog mit der/dem Vermieter:in zu suchen.

Quelle: Landgericht Berlin, Beschluss vom 08.02.2022, Az. 67 S 298/21

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Veranstaltungen

Grundkurs: Rechtliche Betreuung

Wenn Sie das Amtsgericht zum rechtlichen Betreuer bestellt, werden jede Menge Anforderungen an Sie gestellt. Deshalb wollen wir Ihnen in den einzelnen Modulen jeweils einen Überblick über die wesentlichen Inhalte des Betreuungsrechts und Ihre Aufgaben als rechtliche Betreuerin oder rechtlicher Betreuer geben.

Modul 1: Einführung in die rechtliche Betreuung
Kennenlernen, Gesetzliche Grundlagen, Voraussetzung für die Einrichtung der Betreuung, Vorsorgeverfügungen

Termin: Samstag, 25.06.2022, 10:00 bis 13:00 Uhr
Ort: Georg-Wilhelm-Haus, Am Kirchplatz 4, 55765 Birkenfeld
Referent:innen: Helga Steen-Helms, Dipl.-Sozialpädagogin (FH), Juristin, Andreas Helms,
Dipl.-Sozialarbeiter (FH), Sozialtherapeut

Modul 2: Akteure im Betreuungswesen

Betreuungsverfahren, Aufgabenkreise, Betreuungsgericht, Betreuungsbehörde, Betreuungsvereine, Berufsbetreuer:innen

Termin: Mittwoch, 29.06.2022, 18:00 bis 20:00 Uhr
Ort: Sitzungssaal der Kreisverwaltung Birkenfeld, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld
Referent:in: N. N.

Modul 3: Rechtsstellung betreuter Menschen
Geschäftsfähigkeit, Einwilligungsvorbehalt, Einwilligungsfähigkeit

Termin: Mittwoch, 06.07.2022, 18:00 bis 20:00 Uhr
Ort: Sitzungssaal der Kreisverwaltung, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld
Referentin: Ute Gutendorf, Dipl.-Sozialpädagogin (FH)

Modul 4: Krankheitsbilder und Behinderungen
Geistige und körperliche Behinderungen, psychische Erkrankungen

Termin: Mittwoch, 13.07.2022, 18:00 bis 20:00 Uhr
Ort: Sitzungssaal der Kreisverwaltung Birkenfeld, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld
Referent: Dr. med. Martin Michael, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und öffentliches Gesundheitswesen

Modul 5: Pflichten und Rechte von Betreuer:innen
Genehmigungspflichten, die Betreuer:innenrolle, Hilfestellungen, Aufwandspauschale, Versicherung, Arbeitshilfen, Auswertung

Termin: Mittwoch, 20.07.2022 • 18:00 bis 20:00 Uhr
Ort: Sitzungssaal der Kreisverwaltung Birkenfeld, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld
Referent: Christoph Überschär, Dipl.-Heilpädagoge (FH)

Wer an mindestens vier Abenden teilgenommen hat, erhält eine Teilnahmeurkunde.

Um eine bessere Planung zu gewährleisten, bitten wir um Ihre Anmeldung zu der Veranstaltung per         E-Mail an betreuungsverein@awo-birkenfeld.de.

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News

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Zum 01.07.2022 wird sie digital und ab dem 01.06.2002 können Sie sich nicht mehr telefonisch krankmelden

Zur Reduzierung des Ansteckungsrisikos während der Hochphase der Pandemie gab es die mehrfach verlängerte Möglichkeit, sich telefonisch krankschreiben zu lassen. Wir haben Sie in dem Newsletter 3/2021 darüber informiert. Zum 31.5.2022 ist diese Möglichkeit ausgelaufen. Aber dennoch vereinfacht sich das Krankmeldungsverfahren für Arbeitnehmer.

Nun gelten wieder die üblichen Regelungen zum Thema Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Sie oder Ihr/e Betreut:er müssen sich persönlich einem Arzt vorstellen, der dann aufgrund seines Eindrucks über Ihre Arbeitsunfähigkeit entscheidet. Dieser persönliche Eindruck kann auch aufgrund einer Videosprechstunde gewonnen werden, aber nicht mehr aufgrund einer telefonischen Diagnose.

Zum 01.07. wird die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung digital. Sie wird dann von der jeweiligen Praxis über die Krankenkasse direkt an den Arbeitgeber übermittelt. Das spart jede Menge Papier. Sie tragen keine Sorge und Verantwortung mehr dafür, dass Sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtzeitig im Betrieb abgeben. Jedoch müssen Sie oder Ihr/e Schutzbefohlene/r sich auch ohne Abgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber bzw. dem Vorgesetzten und in der Personalabteilung krankmelden. Dafür genügt eine entsprechende E-Mail bzw. ein Anruf.

Erkranken Sie über den Zeitraum hinaus, der im Attest vorgesehen ist, müssen Sie eine ärztliche Folgebescheinigung beibringen. Auch diese wird dann digital versendet. Zudem müssen Sie in diesem Fall wieder Ihren Vorgesetzen bzw. die Personalabteilung informieren.

Tipp: Heben Sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für sich und auch für Ihr/e Betreuten auf.
Denn sie dient als Nachweis, wenn der Datenaustausch gestört ist.

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Veranstaltungen

Außensprechstunden

Damit Sie uns bequem erreichen können, bieten wir Ihnen Außensprechstunden an:

Termin: 20.07.2022, 14:00 bis 16.00 Uhr
Ort: Baumholder, Altes Rathaus

Termine: 23.06., 21.07.2022
Ort: 55765 Birkenfeld, Alte Schule, 14:00 bis 16:00 Uhr

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Hätten Sie es gewusst?

Wie viele Menschen nutzen derzeit eine rechtliche Betreuung?

Aktuelle Zahlen zu dieser Frage sind schwer zu finden. Der Berufsbetreuerverband nennt Zahlen aus dem Jahr 2016. Die Gesamtanzahl der Betreuungsverfahren betrug danach Ende 2016 schätzungsweise 1.260.000 Betreuungen. Der Anteil beruflicher Betreuer:innen lag bei 47,2 Prozent. Damit einhergehend, betrug der Anteil ehrenamtlich geführter Betreuungen rund 53 Prozent.

Quelle: www.berufsbetreuung.de/berufsbetreuung/was-ist-rechtliche-betreuung/daten-und-fakten/ vom 15.06.2022