Newsletter 2/20

Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,

zum Glück hat sich unser Leben aufgrund der positiven Entwicklungen wieder entspannt. Das Coronavirus verbreitet sich immer noch, aber weitaus langsamer, als im März befürchtet. Aus diesem Grund wurden die Maßnahmen gelockert, und wir alle können mehr Kontakte zulassen.

Seit dem 6.5. sind Besuche in Alten- und Pflegeheimen in Rheinland-Pfalz wieder gestattet – unter strengen Auflagen versteht sich: Besucher müssen sich zuvor bei der Pflegeeinrichtung anmelden und dann auf dem direkten Weg unter Vermeidung weiterer Kontakte zu anderen Bewohnern in separate Besuchsräume oder in die Außenanlagen gehen. Besuche sind auf höchstens eine Stunde täglich begrenzt, und die Besuchszeit kann nur von einem Besucher pro Bewohner wahrgenommen werden. Der Besuch soll in der Regel nur durch Angehörige oder eine sonst nahestehende Person erfolgen. Voraussetzung dafür ist, dass in der Einrichtung kein Coronafall vorliegt. Selbstverständlich müssen Besucher die entsprechenden Schutzmaßnahmen beachten. Dazu zählen insbesondere das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, eine ordnungsgemäße Desinfektion der Hände sowie das Einhalten eines Mindestabstands von eineinhalb bis zwei Metern zu dem Bewohner.

Bei aller Vorsicht beraten wir Sie auch wieder persönlich, wenn Sie das wünschen – selbstverständlich unter Beachtung der allgemeinen, bekannten Abstands- und Hygieneregeln.

Vorträge und größere Zusammenkünfte finden jedoch bis auf Weiteres noch immer nicht statt. Da sich herausgestellt hat, dass das Virus mehrheitlich durch die Luft übertragen wird, sind Veranstaltungen in geschlossenen Räumen immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Rufen Sie uns gerne an, wenn Sie uns sprechen möchten. Bleiben Sie vor allem weiterhin gesund!

Sollten Sie einen Themenwunsch für diesen Newsletter haben, dann Informieren Sie mich gerne per E-Mail an betreuungsverein@awo-birkenfeld.de. Nach Möglichkeit werde ich Ihre Wünsche sehr gerne berücksichtigen.

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Überschär

Aktuelle Rechtsprechung

Wann ist die Einwilligung eines Betreuers in eine ärztliche Zwangsbehandlung genehmigungsfähig?

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Betreuer in eine ärztliche Zwangsbehandlung nur einwilligen kann, wenn die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.1.2020, Az. XII ZB 381/19

Das ist passiert:

Der Betroffene leidet an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. In einer Patientenverfügung vom 24.10.2015 hatte er zur Behandlung vorrangig intensive Psychotherapie gewünscht und nur nachrangig Behandlung mit Neuroleptika, deren Dosierung so niedrig wie möglich gehalten werden solle.

Seit Februar 2018 war er wiederholt untergebracht worden und wurde – überwiegend zwangsweise – mit verschiedenen Medikamenten letztlich erfolglos behandelt. Nach Befürwortung durch ein Sachverständigengutachten hat das Amtsgericht die Einwilligung des zuständigen Betreuers

Der Betroffene und seine Mutter wollten das nicht hinnehmen und wehrten sich gegen die Entscheidung. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen und seiner Mutter zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde der Mutter gegen die Entscheidung des Landgerichts hatte vor dem Bundesgerichtshof Erfolg.

Darum geht es:

Es geht darum, ob und unter welchen Umständen die Einwilligung eines gesetzlichen Betreuers in die zwangsweise Durchführung einer ärztlichen Maßnahme zulässig ist.

Die Entscheidung:

§ 1906a BGB regelt die Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen. Widerspricht eine Untersuchung, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen des Betreuten – liegt also eine ärztliche Zwangsmaßnahme vor –, kann der Betreuer in diese nur dann einwilligen, wenn diese zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, § 1906a Abs. 1 Nr.1 BGB.

Bei der Entscheidungsfindung musste der Bundesgerichtshof also prüfen, ob die Elektrokrampftherapie als notwendig im Sinne des § 1906a BGB anzusehen ist. Das lehnte der Bundesgerichtshof ab, denn die Notwendigkeit muss objektiv nach beweisbaren Kriterien gegeben sein. Wegen der Schwere des mit einer Zwangsbehandlung verbundenen Grundrechtseingriffs (Eingriff in die persönliche Freiheit, Art. 2 Grundgesetz) muss sich deren Durchführung auf einen breiten medizinisch-wissenschaftlichen Konsens stützen können – sowohl was die Therapie als solche betrifft als auch deren spezielle Durchführungsform im Wege der Zwangsbehandlung gegen den Widerstand des Patienten. Ein derartiger Konsens kann seinen Ausdruck in wissenschaftlichen Stellungnahmen des Beirats der Bundesärztekammer sowie in medizinischen Leitlinien finden.

Eine Behandlungsform, die nicht breitem medizinischen Konsens entspricht, mag dem Patienten in ärztlicher Verantwortung angeboten, darf aber nicht mit staatlicher Gewalt gegen seinen Willen zwangsweise durchgeführt werden. Zwar kann eine Elektrokrampftherapie nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auch zur Behandlung der Schizophrenie bei vorliegender schwerer depressiver Verstimmung mit Suizidalität indiziert sein. Ein depressives Krankheitsbild haben die sachverständig beratenen Instanzgerichte hier aber nicht festgestellt.

Die Einwilligung des Betreuers in die zwangsweise Durchführung dieser Maßnahme ist daher im vorliegenden Fall nicht genehmigungsfähig.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Der Bundesgerichtshof hat es sich nicht leicht gemacht und das Vorliegen der komplizierten Voraussetzungen des § 1906a Abs. 1 BGB, die übrigens alle kumulativ gegeben sein müssen, dem Wortlaut und dem Sinngehalt nach geprüft. Zur Entscheidungsfindung wurden die Leitlinien zur Behandlung psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie herangezogen. Diese Herangehensweise kann für nachrangige Gerichte vorbildlich sein. Solche „Pedanterie“ im Umgang mit Gesetzen wünscht man sich doch öfter.

Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.1.2020, Az. XII ZB 381/19, Pressemitteilung vom 17.02.2020

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Gesetzgebung

Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts – Bundesjustizministerium legt Gesetzentwurf vor

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 23.6.2020 seinen Entwurf für ein Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts veröffentlicht.

Mit dem im Koalitionsvertrag verabredeten Reformvorhaben soll das aus dem Jahr 1896 stammende Vormundschaftsrecht an die heutigen Bedürfnisse angepasst werden. Die Reformvorschläge sind in fachspezifischen Arbeitsgruppen intensiv vorbereitet worden. Das Gesetzespaket sieht einschließlich aller Folgeanpassungen eine Änderung von 46 Gesetzen vor.

Auch das Betreuungsrecht bedarf einer grundlegenden Modernisierung. Die Ergebnisse der beiden in den Jahren 2015 bis 2017 im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) durchgeführten Forschungsvorhaben zur Qualität in der rechtlichen Betreuung und zur Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen haben gezeigt, dass das Gebot größtmöglicher Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen im Sinne von Artikel 12 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Vorfeld und innerhalb der rechtlichen Betreuung nicht durchgängig zufriedenstellend verwirklicht ist. Zudem gibt es Qualitätsmängel bei der praktischen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben, die auch Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen erforderlich machen.

Das Gesetzespaket umfasst zahlreiche Vorschläge. Diejenigen, die sich auf das Betreuungsrecht beziehen, finden Sie hier zusammengefasst:

  • Das Vormundschafts- und das Betreuungsrecht werden insgesamt neu strukturiert. Die Vorschriften des geltenden Vormundschaftsrechts zur Vermögenssorge, zu Fürsorge und Aufsicht des Gerichts sowie zum Aufwendungsersatz und zur Vergütung werden ins Betreuungsrecht eingeordnet und, soweit erforderlich, an das Betreuungsrecht angepasst.
  • Im Betreuungsrecht sind die Änderungen zentral darauf ausgerichtet, das Selbstbestimmungsrecht und die Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen im Vorfeld und innerhalb einer rechtlichen Betreuung im Sinne von Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention zu stärken.
  • Es wird klarer geregelt, dass die rechtliche Betreuung in erster Linie eine Unterstützung des Betreuten bei der Besorgung seiner Angelegenheiten durch eigenes selbstbestimmtes Handeln gewährleistet und der Betreuer das Mittel der Stellvertretung nur einsetzen darf, soweit es erforderlich ist.
  • Der Vorrang der Wünsche des Betreuten wird als zentraler Maßstab des Betreuungsrechts normiert, der gleichermaßen für das Betreuerhandeln, die Eignung des Betreuers und die Wahrnehmung der gerichtlichen Aufsicht gilt.
  • Der Betreute soll zudem in sämtlichen Stadien des Betreuungsverfahrens besser informiert und stärker eingebunden werden, insbesondere in die gerichtliche Entscheidung über das Ob und das Wie der Betreuerbestellung, in die Auswahl des konkreten Betreuers, aber auch in dessen Kontrolle durch das Betreuungsgericht.
  • Zur Verbesserung des Informations- und Kenntnisniveaus bei ehrenamtlichen Betreuern wird die Möglichkeit einer engen Anbindung an einen anerkannten Betreuungsverein im Wege einer Vereinbarung über eine Begleitung und Unterstützung neu eingeführt.
  • Zur Sicherstellung einer einheitlichen Qualität der beruflichen Betreuung soll ein formales Registrierungsverfahren mit persönlichen und fachlichen Mindesteignungsvoraussetzungen für berufliche Betreuer eingeführt werden.
  • Der Entwurf sieht verschiedene Maßnahmen zur effektiveren Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes im Vorfeld der Betreuung, insbesondere an der Schnittstelle zum Sozialrecht, vor.
  • Die Verwaltung des Vermögens durch Betreuer und Vormünder soll modernisiert werden und künftig grundsätzlich bargeldlos erfolgen.
  • Schließlich sollen sich Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge kraft Gesetzes für die Dauer von drei Monaten gegenseitig vertreten können, wenn ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder einer Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge vorübergehend rechtlich nicht besorgen kann.

Der Referentenentwurf wurde am 23.6.2020 zur Stellungnahme an die Bundesländer und die entsprechenden Verbände verschickt.

Quelle: Bundesministerium der Justiz, www.bmjv.de, Pressemitteilung vom 23.6.2020

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News

Coronakrise: Welche Besuchsregeln gelten in Pflegeeinrichtungen in den verschiedenen Bundesländern?

Wenn Sie sich über die aktuelle Besuchssituation in Pflegeeinrichtungen informieren möchten, ist die Seite der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e.V. (BIVA-Pflegeschutzbund) hilfreich.

Dort finden Sie die Besuchsregelungen für Pflegeeinrichtungen nach den einzelnen Bundesländern übersichtlich aufgelistet. Folgen Sie einfach diesem Link: www.biva.de

Der BIVA-Pflegeschutzbund setzt sich seit 1974 bundesweit für die Rechte und Interessen von Menschen ein, die Hilfe oder Pflege benötigen und daher in betreuten Wohnformen leben. Nach eigenen Angaben ist er damit die einzige bundesweite Interessenvertretung für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen und für Menschen, die von Pflege betroffen sind.

Quelle: Bundesministerium der Justiz, www.bmjv.de

Hätten Sie es gewusst?

Was ist eine privilegierte Beschwerdeberechtigung?

Der Grundsatz, dass nur der von einer Entscheidung Betroffene eine Beschwerdebefugnis hat und sich gegen eine Entscheidung wehren kann, wird im Betreuungsrecht zum Wohle des Betreuten durchbrochen. Nach § 303 Abs. 1 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) steht das Recht der Beschwerde der zuständigen Behörde gegen Entscheidungen über die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und den Umfang, Inhalt oder Bestand einer genannten Maßnahme zu. Nach § 303 Abs. 2 FamFG steht das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung auch dem Ehegatten oder Lebenspartner zu, wenn die Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben, sowie den Eltern, Großeltern, Pflegeeltern, Abkömmlingen und Geschwistern des Betroffenen sowie einer Person seines Vertrauens, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind.

Aber diese besondere Beschwerdebefugnis erstreckt sich nur auf Betreuungsangelegenheiten.

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Über Lob freuen wir uns, Kritik nehmen wir ernst!

AWO-Betreuungsverein für den Kreis Birkenfeld e.V.

Hauptstr. 531–533

55743 Idar-Oberstein

betreuungsverein@awo-birkenfeld.de

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