Newsletter 02/2021

Liebe ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer,

seit gefühlt 100 Jahren – in Wirklichkeit aber erst seit einem Jahr – ist das der erste Newsletter ohne Corona-Themen. Zu meiner großen Freude entspannt sich die Lage und die Stimmung hellt sich auf.

In Rheinland-Pfalz sind zum 15. Juni rund 49 % der Bevölkerung einmal geimpft und fast 27 % haben sogar schon den vollständigen Impfschutz. Wer hätte gedacht, dass die Impfkampagne derart in Fahrt kommt und alles plötzlich doch recht reibungslos vorangeht?

Mit einem guten Ausgang hat die Mutter aus unserer Urteilsbesprechung sicher auch nicht fest gerechnet. Sie wehrte sich gegen die gerichtliche Entscheidung, sie als Betreuerin ihrer Tochter zu entlassen mit einer Verfassungsbeschwerde. Aber es gibt sie eben noch – die wirklich freudigen Überraschungen.

Herzliche Grüße

Ihr Christoph Überschär

Aktuelle Rechtsprechung

Mutter wehrte sich erfolgreich gegen ihre Entlassung als Betreuerin ihrer Tochter

Eine Mutter wehrte sich erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen ihre Entlassung als gesetzliche Betreuerin ihrer psychisch erkrankten Tochter. Demnach kann bei der Auswahl eines Betreuers oder einer Betreuerin nur in Ausnahmefällen vom Wunsch der betreuten Person abgewichen werden. Eine mangelnde Eignung der gewünschten Person darf nicht vorschnell angenommen werden.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31.03.2021, Az. 1 BvR 413/20

Das ist passiert:

Im Jahre 2014 wurde für die Tochter der Beschwerdeführerin eine Betreuung eingerichtet, weil sie unter einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie litt. Die Mutter wurde als Betreuerin für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge einschließlich der damit verbundenen Aufenthaltsbestimmung bestellt.

In den Jahren 2018 und 2019 wurde die Betroffene mehrmals auf Antrag der Mutter jeweils kurzzeitig in der geschlossenen Abteilung des örtlichen psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Ein vom Amtsgericht eingeholtes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass eine weitere Unterbringung zur Heilbehandlung und zur Abwendung einer akuten Eigengefährdung dringend erforderlich sei. Der Gutachter empfahl eine geschlossene Unterbringung für mindestens sechs Monate, wobei ein Orts- und Betreuerwechsel der Betroffenen möglichst nicht zugemutet werden solle.

Dagegen empfahl die Betreuungsbehörde einen Betreuerwechsel hin zu einem unvorbelasteten, familienfremden Berufsbetreuer. Die behandelnden Ärzte sprachen sich in zwei schriftlichen Stellungnahmen ebenfalls für einen Betreuerwechsel aus. Es bestehe eine innerfamiliäre Dynamik, die für die Betroffene ausschließlich kontraproduktiv wirke.

Das Amtsgericht entließ deshalb gegen den ausdrücklichen Wunsch der Tochter die Mutter als Betreuerin und bestellte eine Berufsbetreuerin. Auf Antrag der Berufsbetreuerin genehmigte das Amtsgericht die Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses sowie nachfolgend in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Heimes. Aufgrund dieses Beschlusses befand sich die Tochter von September 2019 bis April 2020 in einer von dem Wohnort ihrer Mutter ungefähr 120 Kilometer entfernten psychiatrischen Einrichtung.

Die gegen ihre Entlassung als Betreuerin gerichtete Beschwerde der Mutter wies das Landgericht zurück. Hiergegen erhob die Mutter jedoch Verfassungsbeschwerde.

Darum geht es:

Es geht darum, ob die Mutter durch die Entlassung als Betreuerin so weit in ihren Grundrechten verletzt ist, dass die Verfassungsbeschwerde begründet ist.

Die Entscheidung:

Die Verfassungsbeschwerde der Mutter hatte Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts, die Mutter als Betreuerin zu entlassen, verletzt sie in Ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz.

Dieser Artikel besagt, dass die Familie unter dem besonderen Schutz des Staates steht. Das Familiengrundrecht garantiert insbesondere das Zusammenleben der Familienmitglieder und die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Es erfasst auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern. Zwar treten mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes Verantwortlichkeit und Sorgerecht der Eltern zurück. Unabhängig hiervon sind familiäre Bindungen im Selbstverständnis des Individuums jedoch regelmäßig von hoher Bedeutung und haben im Lebensalltag der Familienmitglieder häufig besondere praktische Relevanz. Sie zeichnen sich durch schicksalhafte Gegebenheiten aus und können von besonderer Nähe und Zuneigung sowie von Verantwortungsbewusstsein und Beistandsbereitschaft geprägt sein.

Dem Schutz der Familie ist auch bei der Bestellung einer Betreuerin Rechnung zu tragen. Aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz folgt, dass nahe Familienangehörige bevorzugt als gesetzliche Betreuer eingesetzt werden sollten. Jedenfalls gilt das dann, wenn eine tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte engere Bindung besteht.

Zudem setzt sich das Gericht mit den Gründen auseinander, wann ein Betreuer oder eine Betreuerin zu entlassen sind. Gemäß § 1908b Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch ist eine Betreuerin zu entlassen, wenn ihre Eignung, die Angelegenheiten der Betreuten zu besorgen, nicht mehr gewährleistet ist oder ein anderer wichtiger Grund für die Entlassung vorliegt. Eine Betreuerin ist auch dann nicht mehr geeignet, wenn die Betreuung durch sie dem Wohl der Betreuten zuwiderläuft. Die fehlende Eignung muss nicht erwiesen sein, es genügen berechtigte Zweifel aufgrund konkreter Tatsachen. Eine Betreuerin muss im Hinblick auf die Regelung des § 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB insbesondere in der Lage sein, ihre Entscheidungen an dem subjektiven Wohl der Betreuten – auch unter Hintanstellung eigener Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich des aus Sicht der Betreuerin „objektiv“ Sinnvollen für die Betreute – auszurichten und die Betreute dabei zu unterstützen, im Rahmen ihrer Fähigkeiten eigene Wünsche und Vorstellungen zu entwickeln sowie umzusetzen.

Genau diese Punkte hat das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung aber nicht ausreichend dargelegt. Die Entlassung der Mutter als Betreuerin wurde mit fehlender Eignung und dem entgegenstehenden Wohl der betroffenen Tochter begründet. Eine fördernde krankheitsgerechte Behandlung der Betroffenen sei in der Vergangenheit nicht erkennbar gewesen. Den Grund hierfür sieht das Landgericht in erster Linie in dem Rollenkonflikt, in dem sich die Beschwerdeführerin befinde. Die Beschwerdeführerin könne die Betreuung „aus ihrer emotionalen Grundsituation heraus“ nicht zum Wohl der Betroffenen führen und sei daher als Betreuerin ihrer Tochter nicht geeignet.

Die Betrachtung der Mutter-Tochter-Beziehung erfolgt dabei jedoch einseitig im Hinblick auf den bisherigen Verlauf der Behandlung der Tochter. Es wird nicht deutlich, dass dem Wert der familiären Beziehungen, dem innerfamiliären Zusammenhalt und der Familie als Schutzraum der Betroffenen darüber hinaus Bedeutung beigemessen wurde. Das Landgericht durfte insbesondere das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht unberücksichtigt lassen, der sich ausdrücklich gegen einen Betreuer- und Ortswechsel ausgesprochen hatte.

Zudem hätte das Landgericht , dem ausdrücklichen Wunsch der Tochter, die Mutter als Betreuerin zu behalten, Rechnung tragen müssen. Der Vorrang des Willens der betroffenen Personen bei der Auswahl der Betreuerin ist Ausdruck des grundrechtlich verbürgten und umfassenden Selbstbestimmungsrechts betreuungsbedürftiger Personen. § 1897 Abs. 4 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch ermöglicht nur in Ausnahmefällen die Bestellung einer anderen als von der Betreuten gewünschten Person, wenn die Befolgung des Wunsches der Betreuten deren Wohl zuwiderläuft.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Zum Glück kennt das deutsche Rechtswesen den Weg der Verfassungsbeschwerde. Dieser außerordentliche Rechtsbehelf ermöglicht es den Bürgerinnen und Bürgern, ihre grundrechtlich garantierten Freiheiten gegenüber dem Staat durchzusetzen. Sie können so gegen die Verletzung von Grundrechten vorgehen.

Die Verfassungsbeschwerde ist aber grundsätzlich erst dann zulässig, wenn zuvor der fachgerichtliche Rechtsweg vollständig durchschritten wurde (sogenannte Rechtswegerschöpfung). Darüber hinaus müssen alle zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergriffen worden sein, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder zu verhindern (sogenannte Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde). Im Jahr 2020 wurden rund 4.800 von 5.200 eingereichten Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Das Bundesverfassungsgericht muss die Beschwerde nur annehmen, wenn sie grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung hat oder wenn dies zur Durchsetzung eigener verfassungsmäßiger Rechte des Beschwerdeführers oder der Beschwerdeführerin angezeigt ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31.03.2021, Az. 1 BvR 413/20

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Veranstaltung

Vortrag: Wege aus der Angst

Der St. Ingberter Autor Roland Rosinus schildert in seinem authentischen Vortrag seine eigenen Erfahrungen mit Panikattacken, sozialen Ängsten und Platzängsten, generalisierter Angst, Depressionen und einer Herz-Phobie.

Er nimmt den Zuhörer mit auf seinen ersten Schritten aus der Angst, geht auf Ursachen ein und zeigt auf, wie er mit Stillständen und Rückschritten umgegangen ist. Dabei fordert er seine Zuhörer auf, Ängste aus einem anderen, positiveren Blickwinkel zu betrachten.

Roland Rosinus sieht seinen Vortrag nicht als „Überstülpen der einen Möglichkeit“, sondern als Angebot, verschiedene Möglichkeiten der Angstbewältigung kennenzulernen und selbst auszuprobieren.

Ein Vortrag, der Mut macht, sich auf den eigenen Weg zu begeben, sowieÄngste und Depressionen aus der Tabu-Ecke nimmt. Roland Rosinus gibt ferner viele praktische Tipps zur Angstbewältigung.

Der Vortrag ist geeignet für Betroffene, Angehörige, Freunde, Interessierte und Therapeuten. Zugangsvoraussetzung ist ein negativer Corona-Test, der nicht älter als 24 Stunden sein darf. Auf dem Weg zum Sitzplatz besteht Maskenpflicht.

Termin: Mittwoch,09.06.2021, 18 bis 20.30 Uhr
Ort: Kreisverwaltung Birkenfeld, Sitzungssaal, Schneewiesenstraße 25, 55765 Birkenfeld
Referent: Roland Rosinus, Autor

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Gesetzgebung

Gesetzgebungsverfahren zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts abgeschlossen

Mittlerweile sind der Reformprozess und die Modernisierung des Betreuungsrechts abgeschlossen. Das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 04.05.2021 ist verabschiedet und wird am 01.01.2023 in Kraft treten.

In den Newslettern 2 und 4/2020 haben wir ausführlich über die Reformbestrebungen berichtet. Das Gesetz ist im Bundesgesetzblatt vom 12.05.2021 veröffentlicht worden. Unter diesem Link finden Sie den Gesetzestext.

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News

Steuerpflichten ehrenamtlicher Betreuerinnen und Betreuer

Die jährliche Aufwandspauschale von 400 € für jede gesetzliche Betreuung ist steuerfrei. Aber was ist, wenn Sie mehrere Betreuungen ehrenamtlich ausüben und so insgesamt mehr Geld als 400 € erhalten?

Bis zu einer Grenze von 3.000 € jährlich sind Sie steuerbefreit (§§ 3 Nr. 26a Satz 1, Nr. 26b Einkommensteuergesetz, 1835a Bürgerliches Gesetzbuch). Einkünfte aus anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten für gemeinnützige und ähnliche Zwecke (§ 3 Nr. 26 EStG) werden dabei aber mitgerechnet. Diese Regelung soll am 01.07.2021 in Kraft treten.

Dennoch könnte es sein, dass Sie aufgrund anderer persönlicher Umstände eine Steuererklärung abgeben müssen. Sollten Sie Zweifel haben, fragen Sie am besten einen Steuerberater oder eine Steuerberaterin.

Hätten Sie es gewusst?

Können betreute Personen wirksame Testamente errichten?

Ja, denn wie die Eheschließung ist das Testament ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft, bei dem man sich nicht vertreten lassen kann. Es kommt lediglich darauf an, ob die testierende Person testierfähig ist. Gemäß § 2229 Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch ist nur nicht testierfähig , wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Eine gesetzliche Betreuung steht dem nicht entgegen.

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Über Lob freuen wir uns, Kritik nehmen wir ernst!

AWO-Betreuungsverein für den Kreis Birkenfeld e.V.

Hauptstraße 531–533

55743 Idar-Oberstein
betreuungsverein@awo-birkenfeld.de